Daniela Heine | Staatlich anerkannte Ergotherapeutin

Ergotherapie: Hilfe für Kinder mit Lese-/Rechtschreibschwäche

Definition:

Allgemein ist es die Bezeichnung für Schwächen beim Erlernen von Lesen, Schreiben, und Rechtschreiben, die weder auf eine allgemeine Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung, noch auf unzulänglichen Unterricht zurückgeführt werden können.

Als Legastheniker gelten Kinder mit einem Prozentrang von 15 und weniger in einem Lese- und/oder Rechtschreibtest, einer mindestens durchschnittlichen Intelligenz (IQ von 90 und besser) und einem bescheinigten emotionalen Leidensdruck.

In einigen Bundesländern wird eine weniger strenge Definition als Richtlinie genutzt, so dass Kinder die über einen längeren Zeitraum schlechtere Leistungen als die Note 4 in Lesen und Schreiben erbringen, einem speziellen Förderunterricht zugeführt werden können.

Unterscheidung:

  • Leseversagen
  • Schreibschwäche
  • Rechtschreibschwäche

Ursachen:

  • eingeschränkte Gedächtnisleistungen
  • eingeschränkte Konzentrationsleistung
  • eingeschränkte visuelle Wahrnehmungsleistung
  • eingeschränkte auditive Wahrnehmungsleistung
  • genbedingte Anlage
  • AD(H)S
  • MCD

Arten der LRS:

Lese- und Rechtschreibschwäche
  • Kognitive LRS (Intelligenzmangel)
  • Intelligenzunabhängige LRS
Legasthenie
  • Literale Legasthenie – seltene Schwerstform
  • Kinder haben größte Probleme, im Buchstabenbereich zu lernen
Verbale Legasthenie
  • häufigste Form (10-15% der Gesamtpopulation)
  • Kurzfristige Entwicklungslegasthenieohne sekundäre allgemeine Leistungsstörung, oft als Reifungsrückstand bezeichnet, sollte bis zum 8. Lebensjahr aufgeholt sein, keine psychischen Begleiterscheinungen, Therapie meist erfolgreich
  • Legasthenie mit sekundärer Leistungsstörung bereits psychische Begleitsymptome, Persönlichkeitsmerkmale wie Aggression, Abwehr, Ausweichmechanismen, Hypo-/Hyperaffektivität

Voraussetzungen für Lesen und Schreiben in unterschiedlichen Entwicklungsstufen:

0 - 2 Jahre

sensomotorische Entwicklung sollte normal verlaufen => Hand-Auge, später auch Auge-Hand-Koordination unauffällige Augenmotorik u. Akkomodationsbewegungen Kind sollte auf visuelle u. auditive Reize reagieren

2 - 4 Jahre

besonderes Voranschreiten der sprachlichen und auditiven Entwicklung Feinmotorik gewinnt an Bedeutung => Kind erlernt Handhabung von z.B. Schere und Stiften

4 - 7 Jahre

maximale Entwicklung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit weitere Reifung der Hörbahnen => verbunden mit Differenzierung der auditiven Wahrnehmungsleistung

Allgemeine Fertigkeiten für den Lese- und Rechtschreiberwerb:

Visuelle Wahrnehmung:
  • Visuomotorische Koordination
  • Figur-Grund-Wahrnehmung
  • Wahrnehmungskonstanz
  • Wahrnehmung der Raumlage
  • Wahrnehmung räumlicher Beziehungen
Auditive Wahrnehmung:
  • Richtungshören
  • Auditive Aufmerksamkeit
  • Auditive Figur-Grund-Wahrnehmung/Selektivität
  • Dichotisches Hören
  • Ordnungsschwelle
  • Rhythmuserfassung
  • Zahlenfolgegedächtnis
  • Wortschatz
  • Lautdifferenzierung
  • Lautheitsempfinden
  • Phonologische Bewusstheit
    => Synthese- und Analysefähigkeit
    => Anlaut-/Auslautbestimmung
    => Reimwörter erkennen
    => Silben klatschen
  • Grobmotorik
  • Koordination
  • Feinmotorik
  • Oberflächen- und Tiefen-Sensibilität
  • Gleichgewichtssinn
  • Mundmotorik
  • Augenbewegung
Kognition:
  • verbale oder nonverbale der Intelligenz

Anzeichen für Legasthenie im Vorschulalter:

  • LRS in der Familiengeschichte
  • Sprachentwicklungsverzögerung (SEV)
  • Merkfähigkeitsprobleme
  • Sprachzuordnung gelingt nicht oder häufig fehlerhaft
  • Serialitätsprobleme

Legastheniesymptome:

Lesen:
  • häufige Fehler beim lauten Lesen
  • zahlreiche Selbstkorrekturen
  • langsames/mühsames Erlesen von Wörtern
  • silbenweises Lesen (obwohl diese Stufe längst abgeschlossen ist)
  • keine Betonungststrukturen => Sätze und Texte werden auch inhaltlich nur schwer erfasst
  • Probleme bei der Sinnentnahme
Rechtschreibung:
  • häufige Fehler beim Abschreiben
  • zahlreiche Fehler bei Diktaten und Aufsätzen
  • Verwechslung gestaltähnlicher Buchstaben (b/d – m/n – p/q)
  • Verwechslung auf der Lautebene (D/T – G/K – M/N)
  • Auslassung von Buchstaben, so dass sich die Klanggestalt des Wortes verändert (Baum/Bau)
  • Auslassung von ganzen Wörtern oder längeren Wortteilen
  • Reihenfolge der Buchstaben wird nicht eingehalten
  • Missachtung orthographischer Regeln
  • Schreibhemmung
Sprachauffälligkeiten:
  • verwaschene Artikulation
  • stockendes Sprechen
  • verminderter Wortschatz
  • Wortfindungsprobleme
  • Dysgrammatismus
Merkfähigkeit:
  • geringe auditive Merkfähigkeit
  • geringe visuelle Merkfähigkeit
Motorik:
  • häufige Koordinationsprobleme, bei ansonsten unauffälligen Allgemeinmotorik
  • Blickmotorik gestört oder zeitweise mangelhaft gestört
  • undeutliches Schriftbild
  • langsames, unsicheres Schreiben
  • schlechte, verkrampfte Stifthaltung
  • Drucksteuerung und Dissoziation sind ungenügend
Verhaltensauffälligkeiten:
  • Schulangst
  • Aggressivität
  • Clownerie
  • Hypo-/Hyperaffektivität
  • Konzentrationsschwäche
  • Psychosomatische Beeinträchtigungen
  • Schreibhemmung

Stufen des Leseerwerbs:

logographisches Erkennen (optisches Worterkennen):
  • Orientierung an äußeren Merkmalen des Wortes, z.B. Länge, Größe, Anfangsbuchstabe
  • zusätzlich werden die Worte bebildert
alphabetisches Lesen:
  • Zuordnung von Graphemen u. Phonemen über das Lautlesen
  • geschriebener Buchstabe wird laut gelesen (Bezug zu gesprochenen Sprache)
  • Lesen wirkt noch nicht flüssig, eher stockend und gedehnt
silbengliederndes Lesen:
  • Gliederung in kleine sinnvolle Leseeinheiten
  • Einheiten werden visuell, auditiv und artikulatorisch gespeichert
  • identifizierte Buchstabenzusammenschlüsse können auf andere Worte übertragen werden
orthographisches Lesen:
  • häufig vorkommende Buchstabenfolgen werden gemerkt und abgespeichert (die, der, das)
  • diese Worte können direkt aus dem lexikalischen Gedächtnis abgerufen werden und müssen nicht mehr Buchstabe für Buchstabe erlesen werden

Notwendige Leistungen beim Erstlesen:

visuelles Erfassen und Unterscheiden der Buchstaben

Zuordnung von Buchstaben und Normlauten

Voraussetzung:

  • akustische Unterschiede der Laute müssen wahrgenommen werden
  • Laute müssen den richtigen Graphemen zugeordnet und abgespeichert werden
  • kinästhetische Abspeicherung des Lautmusters
Synthese (von der Lautreihe zum Wort)

Voraussetzung:

  • Kenntnis von den Buchstaben und den dazugehörigen Lauten
  • Buchstabennamen auf seinen eigentlichen Laut zu reduzieren
  • Verschmelzung von einzelnen Lauten zu neuen Lauten (n+g=ng)
Konstanz der Lautfolge

Voraussetzung:

  • entstandenes Klangbild muss gemerkt werden und jeweils der nächste Laut hinzugefügt werden
Silbentrennung

Voraussetzung:

  • Aufgliederung in kleine Einheiten => Silben
  • von der Buchstaben-Lautebene zur inhaltlichen Ebene wechseln
  • entscheiden können, welche Laute verbunden und welche getrennt gesprochen werden
Betonung und Länge des Vokals

Voraussetzung:

  • Wechsel von Einzelklangfolge zu Wortklangebene
  • Erfassen von Graphem-Phonem-Korrespondenzen
  • Vergleich mit gespeicherten Wortklangbildern

Notwendige Leistungen beim Schreiben:

Voraussetzung:

  • Kenntnisse der Buchstaben/Laute
  • Auflösung des Wortklangbildes in Laute (Analyse)
  • Wechsel zwischen Einzellauten und Gesamtklangbild, um Stellung der Buchstaben im Wort zu ermitteln
  • Auditive Leistungen
  • Gedächtnisleistung
  • Visuelle Leistungen
  • Motorische Leistungen
  • Aufmerksamkeit

Rechtschreibung:

=> Regelkenntnis und deren Anwendung sind zusätzlich nötig